SDG Blog #9 – INNOVATION und INFRASTRUKTUR

SDG Blog #9 – INNOVATION und INFRASTRUKTUR

„Wir wollen gemeinsam den Weg zu einer CO2-neutralen Chemieindustrie durch Elektrifizierung und den Einsatz von CO2-freiem Wasserstoff beschleunigen“, erklären die Vorstandsvorsitzenden von BASF und RWE, Brudermüller und Krebber. Die beiden sprechen von einem großen Klimaschutz-Projekt. Es geht um den Bau eines Offshore-Windparks mit einer Leistung von 2 Gigawatt in der Nordsee. Dieser Windpark soll den Chemiestandort Ludwigshafen mit grünem Strom versorgen und zur CO2-freien Herstellung von Wasserstoff dienen. Ziel ist es, die Produktion von Grundchemikalien zu elektrifizieren. Bisher liefern fossile Energieträger, z.B. Kohle, Erdgas, die dazu notwendige Energie.

Was ich an diesem Vorhaben gut finde ist, dass hier auf einen Schlag etwa 1% des Energiebedarfs in Deutschland „transformiert“ wird. Das Projekt ermöglicht die Vermeidung von 3,8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr! Die gesamte Wertschöpfungskette vom Windpark bis zu den Energie verbrauchenden Anlagen wird betrachtet und zusammenhängend geplant, so dass weder zu viel noch zu wenig Kapazitäten gebaut werden. Das heißt, dass dafür auch nur so viel Umwelt (z.B. Lebensraum für den Schweinswaal) und Ressourcen (z.B. seltene Erden) verbraucht werden wie nötig. Ein Gegenbeispiel: In Mecklenburg-Vorpommern wurde der Bau von doppelt so viel Windkraft Kapazität gefördert wie tatsächlich vor Ort im Bundesland gebraucht wird. Für die Hälfte der bereits installierten Kapazitäten gibt es (noch) kein Konzept dafür, wie die Energie die Orte des Bedarfs, z.B. in einem südlicheren Bundesland mit weniger Wind, erreicht. Es fehlen ein ausgearbeiteter Fahrplan für die Energiewende, marktreife Technologien zur Speicherung überschüssiger erneuerbarer Energie und Stromleitungen. Es fehlt Infrastruktur.

Innovationen und Infrastruktur sind Mittel, um zu …. Es muss klar sein, zu welchem Ziel und Zweck sie eingesetzt werden. Ich habe allerdings den Eindruck, dass Innovation und Infrastruktur zunehmend als ein Wert an sich angenommen werden. Fehlen sie, ist es schlecht, sind sie da, ist alles prima. Beispielsweise freuen sich alle, wenn’s Geld gibt für Digitalisierung, wenn in der Schule alle ein Tablet haben, an 5G angeschlossen sind und alle möglichen Prozesse automatisiert oder auf eine digitale Plattform umgehoben werden. Und zwar unabhängig davon, ob uns das effizienter und kostengünstiger macht, ob es unsere Lebensqualität erhöht, unsere Gesundheit verbessert, mehr Chancengerechtigkeit bringt oder ob es den Verbrauch natürlicher Ressourcen reduziert. Haben wir kein gemeinsames Verständnis vom Sinn und Zweck und kommen weiterhin sachgebundene Mittel ins Spiel, laufen wir zudem Gefahr, dass sich Individual-Interessen durchsetzen und auf kommunaler Ebene etwa „Schildbürger-Lösungen“ entstehen: mehr Straßen statt Mobilitäts- und Versorgungs-Konzept im ländlichen Raum, Neuausweisung von Bauland statt Schließen von Baulücken und Umnutzung existierender Gebäude, Umlegung ganzer Bachläufe statt Einrichtung von Überflutungsflächen, u.s.w.

Was meint ihr:

·       Wofür sollen Forschungsgelder eingesetzt werden, in welchen Bereichen brauchen wir dringend Innovationen?

·       Welche Infrastruktur-Elemente brauchen Überarbeitung oder müssen angepasst werden, um den künftigen Anforderungen der „Daseinsvorsorge“ zu genügen (z.B. Verkehr & Mobilität, Ämter und Verwaltungen, Gesetze und Regeln, Stromnetz, Wasserversorgung, Sozialversicherungen, Internet, ….)?

Bin gespannt auf eure Gedanken.

Eure Astrid

Dieser Beitrag hat 14 Kommentare

  1. Mark

    Wo wir dringend Innovationen brauchen? – Vielleicht brauchen wir innovative soziale Lösungen zur Gewaltenteilung, um Kriege und andere gewaltvolle Auseinandersetzungen auf der Welt zu vermeiden.

  2. Uli

    Wie wär’s mit einer Mobilität, die ohne Energie auskommt?

    1. Johannes

      Ich weiß nicht, ob es als Scherz gemeint war, aber ich möchte den Gedanken ungern so stehen lassen. Diese Utopie würde auf ein Perpetuum mobile hinauslaufen, was aufgrund fundamentaler Naturgesetze als unmöglich angesehen wird. Forschung die darauf abzielt würde zumindest aus öffentlicher Hand eher nicht gefördert werden…
      Einsparpotential bietet Mobilität trotzdem (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): unnötige Mobilität vermeiden („Verschwendung“) und wo möglich zu Fuß oder mit dem Fahrrad/Tretroller bewältigen.

  3. Mark

    Apropos Mobilität ohne Energie, ein allgemeines Tempolimit würde in Deutschland 2 Millionen Tonnen CO2 im Jahr sparen und wahrscheinlich viele Leben retten. Keine Ahnung, warum ausgerechnet das Tempolimit ein Symbol einer unverhältnismäßigen Einschränkung von Freiheit sein soll.

  4. Uli

    Also innovative Ordnungspolitik?

  5. Steffi

    Das Schienen-Netz der Bahn braucht aus meiner Sicht mehr Aufmerksamkeit. Es wird doch immer offensichtlicher, dass wir den Individual-Verkehr, so wie er heute nicht, nicht komplett mit „sauberer“ Energie versorgen können. Habe übrigens gestern ein Werbeplakat der Bahn gesehen, auf dem mit einem Rückgang der CO2 Emissionen um bis zu 70% geworben wird, für alle, die für ihre Fahrt zum Arbeitsplatz vom Auto auf die Bahn umsteigen.

  6. Paul

    Wie sagt man eigentlich, wenn es Fortschritt gibt und ich z.B. meinen Klima-schädlichen Fußabdruck verkleinere, weil ich etwas nicht mehr mache oder so mache wie früher mal? Ist das dann auch Innovation?

    1. Astrid

      Tatsächlich nennt man neue Ideen des Weglassens und Aufhörens EXnovationen im Gegensatz zu INnovationen 🙂

  7. Sebastian Bender

    Zu deinem Beispiel mit dem fehlenden Bedarf in Meck-Pom. Obwohl ich sehr tief im Thema bin, kenne ich den Hintergrund von dem von dir angesprochenen Projekt nicht. Man muss jedoch dabei bedenken, dass wir gerade mal ca. 18% unserer Energie regenerativ erzeugen. Die dort installierte Energie wird also zwingend gebraucht. Grundsätzlich gebe ich dir Recht, dass der Ausbau der Infrastruktur viel zu langsam voran schreitet. Nur können wir es uns erlauben, so lange mit dem Windenergieausbau zu warten, bis die Stromtrassen existieren? Insbesondere von den extrem langwierigen Genehmigungsverfahren? Bis die WKA ans Netz gehen, sind die Trassen vielleicht schon fertig? Übergangsweise könnte man auch H2 damit vor Ort herstellen und in die Industrien damit beliefern (bis Trassen fertig gestellt sind). Es muss auf jeden Fall parallelisiert werden – d.h. Regenerative müssen ausgebaut werden, und gleichzeitig die restliche Infrastruktur geschaffen werden. Und ganz allgemein muss ganz zwingend das Thema Suffizienz in den Mittepunkt gerückt werden. Aber das ist auch eine gesellschaftliche Frage – wie schnell kommen wir von unserem verschwenderischen Energietrip runter. Und da das wohl erheblich langsamer geht als Regenerative ausbauen – müssen wir eben mit den Regenerativen Gas geben…aber so richtig! Sonst haben unsere Enkel (und in meinem Fall meine Kinder) eben keine lebenswerte Lebensgrundlagen mehr.

    1. Astrid Jung

      Hallo Sebastian, freue mich sehr über Deinen Kommentar. Ich bin ein großer H2 Fan, habe mich vor 8 Jahren intensiv mit Power-to-Gas Technologien beschäftigt, die damals noch nicht wirtschaftlich waren, so dass meine Überlegungen und Berechnungen erstmal in der Schublade verschwunden sind. Heute würden wir uns wünschen, die Politik-Berater hätten die Notwendigkeit von Speichern und on-site Lösungen sehr viel früher in die Debatte eingebracht. Jetzt müssen wir – wie Du sagst – alles parallel in Angriff nehmen. Ich hoffe, dass wir dabei nicht huddeln und übe mich weiter in Suffizienz. Viele Grüße! – Astrid

      1. Volker

        Ich bin Fan von Power to Gas, warum wird aber die Thematik Methanol nicht weiter verfolgt? Mit regenerativem Strom Energie in einen leicht transportierbaren Träger transformiert und vor Ort über eine Brennstoffzelle zu Strom, zu chemischem Grundstoff, Flugzeugsprit, Kraftstoff, etc. genutzt ?

        1. Astrid

          Hallo Volker, gute Frage. Ich nehme an, dass aktuell der Fokus auf Wasserstoff liegt, weil sich die Stahl-, Zement- und Chemie-Industrie darauf eingeschossen haben, die großtechnische Wasser-Elektrolyse mittels überschüssiger erneuerbarer Energie gut funktioniert und die existierende Erdgas-Infrastruktur genutzt werden kann (die neuen Gasheizungen vertragen bereits jetzt bis zu 20% Zumischung von Wasserstoff). Außerdem ermöglicht der Ausbau der Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland neue geopolitische Partnerschaften, z.B. mit Marokko. Denn wir werden in der Endausbaustufe sehr viel mehr Wasserstoff brauchen als wir selbst produzieren können. Da zieht Methanol aktuell einfach den kürzeren, obwohl technisch sicher machbar.

          1. Johannes

            Hallo Astrid,
            das Eine schließt das Andere ja nicht aus. Soweit ich mich erinnere ist der Weg von „regenerativem Strom“ zu Methanol als Energieträger (eine Form von Power-to-liquid) meist über den Zwischenschritt Wasserelektrolyse (Power-to-gas). Wasserstoff bietet denke ich für die genannten Industriezweige der „universellere“ Einsatzmöglichkeiten als Methanol.
            Methanol wäre meines Erachtens v.a. in Kombination mit CO2 aus direct air capture.

  8. Kerstin

    Ja, es braucht sicher vernünftige Technologien, die idealerweise umweltschonend sind und nicht Umweltprobleme verlagern. Die Natur ist leider launisch… Mecklenburg-Vorpommern hat seit Jahren mit Trockenheit und daraus folgend mit Wasserknappheit zu kämpfen. Generell ist das ja ein weltweites Problem. Wenn wir jetzt global alles auf H2 setzen, sehe ich Probleme an anderer Stelle. Die Speichermöglichkeiten der Windenergie schaffen ebenfalls Ressourcenknappheit an anderer Stelle, z. B. Lithium. Zudem enthalten Speicherbatterien andere giftige Werkstoffe. Die Autobranche hierzulande setzt voll auf E-Technik, aber ist es wirklich die saubere innovative Lösung, wenn wir alle Fahrzeuge, der derzeit unterwegs sind, 1:1 tauschen würden? Ich wäre dafür, dass man weg kommt vom Individualverkehr und viel mehr auf Bus, Bahn etc. setzt. Wenn wir in allen Orten (auch die ländliche Region) ein gut ausgebautes Streckennetz hätten, das den Güterverkehr einschliesst, hätten wir schon einiges gewonnen. Ich möchte nur den Fokus einmal darauf lenken, dass bei allen neuen Innovationen, auch neue Probleme entstehen werden. Dieses muss bei aller Veränderung mitgedacht werden. Denn es bringt uns nichts, wenn wir am Ende an CO2 zwar einsparen, aber der Natur an anderer Stelle Schaden zufügen.

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