SDG Blog #10 – WENIGER UNGLEICHHEIT

SDG Blog #10 – WENIGER UNGLEICHHEIT

Schön, dass wir nicht alle gleich sind. Dass wir unterschiedlich sind und aussehen, unterschiedliche Lebensentwürfe, Ziele, Wünsche und Träume haben, unterschiedliche Herkunft, Erfahrungen und Erinnerungen, unterschiedliche Rituale und Werte, unterschiedliche Lieblingsfarben und Lieblingsessen. Wie könnten wir sonst, also ganz ohne Unterschiede, voneinander lernen, neue Perspektiven einnehmen, miteinander streiten und ständig unser Weltbild erweitern? Unterschiedlichkeit ist ja mittlerweile ein Wert an sich: Diversität. Wenn die UN mit diesem Nachhaltigkeitsziel #10 nun „Weniger Ungleichheit“ fordern, dann ist natürlich nicht gemeint, dass wir weniger unterschiedlich aussehen und sein sollen, es ist eher eine Forderung nach Gleichbehandlung, nach Chancengleichheit für alle. Eine moderne Gesellschaft muss es schaffen, allen Menschen die gleichen Chancen anzubieten. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb.

Die Ungleichheit mit den größten negativen gesellschaftlichen Auswirkungen (Krise der Demokratie, Nationalismus, Trump, Brexit) ist die Ungleichverteilung von Eigentum und Mitteln, die wiederum den Zugang zu Bildung, zum Gesundheitswesen und zum kulturellen Leben bedingt. Diese Ungleichheit wird in Zeiten der Identitäts-Politik oft übersehen. Denn sie verläuft quer zur Ungleichbehandlung von Menschen mit unterschiedlichem Geschlecht, Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlicher Religion und Kultur.

Eine Gesellschaft kann durchaus Reiche, Arme und eine Mittelschicht umfassen. Angesichts des übermäßigen Anstiegs der obersten Vermögen stellt sich allerdings die Frage, wie viel einseitiger Vermögenszuwachs hinnehmbar ist, also die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Die reichsten Milliardäre wie Bill Gates, Jeff Bezos und Bernard Arnault aus der Luxus-Waren Industrie besitzen je ca. 100 Milliarden EUR. Vor zehn Jahren besaßen die reichsten Milliardäre ca. 30 Milliarden. Fünf Jahre davor waren es noch 5 Milliarden. In derselben Zeit sind allerdings die realen Löhne der Mittelschicht und Unterschicht gar nicht mehr gewachsen, und jede Art der Investition in unser globales Wirtschaftssystem hatte keine positiven Effekte auf die breite Gesellschaft. Das gesunde Maß ist heute überschritten: Das reichste 1% der Weltbevölkerung verfügt über die Hälfte des globalen Vermögens! Warum konnte sich die Schere zwischen arm und reich so weit öffnen? Ein Erklärungsversuch:

1.    Die Kapitalrenditen übersteigen das Wirtschaftswachstum. Die Kapitalrenditen auf den größten Vermögen und Kapitalanlageportfolien übertreffen das Wirtschaftswachstum und sind mit bis zu 9% (nach Abzug von Inflation und Verwaltungskosten) sehr viel höher als die Renditen auf Durchschnitts- und kleinen Vermögen. Wenn Du also 5000 EUR anlegst, profitierst Du weit weniger als wenn Du über ein Anlageportfolio von 5 Milliarden EUR verfügst. Dieser Sachverhalt ist kein Naturgesetz, sondern ergibt sich aus einer „gewollten“ Gestaltung des internationalen Finanz-Systems und aus einem internationalen Rechtsrahmen, der den Zugang zu bestimmten Finanzprodukten und Anlagemöglichkeiten reguliert. So stehen hoch spezialisierte Finanz-Derivate über Rohstoffe, die an der Börse von Hongkong gehandelt werden, Kleinsparern mit 5000 EUR nicht offen. Dafür braucht es schon sehr viel Geld. Dieser Rechtsrahmen erlaubt auch einen internationalen Finanzverkehr ohne einheitliche Besteuerung.

2.    Die Ungleichheit konnte plausibel erklärt werden. In jeder Gesellschaft gibt es ein gesundes Maß an Ungleichheit, das von allen mitgetragen werden muss. Die Eliten können nicht einfach sagen „Wir sind reich, ihr seid arm. So ist das halt.“ Es braucht mehr als das. Wenn sie allerdings sagen „Wir sind zwar reich, und ihr seid arm. Aber das fördert die Innovation und damit die gesellschaftliche Stabilität“, dann ist das eine überzeugende Geschichte, und bis vor ca. 20 Jahren war das ja auch noch so. Die Ungleichheit des 19. Jahrhunderts hatte zu Finanzkrisen und Konflikten geführt, schließlich zum ersten und zweiten Weltkrieg, zur Oktober-Revolution und zur Krise der 30er Jahre. Aufgrund dieser Ereignisse hat man in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts versucht, die Wirtschaft und den Kapitalismus in ein Regelwerk mit sozialem Sicherungssystem, einer Regulierung der Finanzmärkte und des Arbeitsrechts und mit einem progressiven Steuersystem einzubetten. Das ließ eine zumutbare Ungleichheit zu. Eine exzessive Ungleichheit wurde dadurch aber ausgeschlossen. Dieses System ermöglichte Investitionen in Infrastruktur-Projekte und Bildung. Und es resultierte in einem sozialen Konsens darüber, dass die Unter- und Mittelklasse über ihre Steuern auch ihren Beitrag zu einem neuen Sozial-System leisten müssen. Aber weil die reichsten noch einen größeren Beitrag leisteten (Spitzensteuersatz in den USA der 30er Jahre: 81%), war das sozial akzeptabel. Und Innovationskraft, Produktivität sowie Löhne und Erträge sind in dieser Zeit durch die Decke gegangen.

Menschliche Gesellschaften haben manchmal ein viel zu kurzes Gedächtnis. Die USA und England sind die beiden Länder mit dem größten Anstieg der Ungleichheit seit den 80/90er Jahren. Es gab unter Reagen und Thatcher das Versprechen von Wohlstand für alle durch die Globalisierung und den breiten Wettbewerb der Volkswirtschaften. Die Arbeiter und Mittelklasse in den beiden Ländern haben davon aber nie etwas gemerkt. Seitdem hat es keinen Versuch zur Neuorganisation der Globalisierung gegeben, von der die Gesellschaft als Ganzes hätten profitieren können. Die sich entwickelnde übermäßige Ungleichheit und das Gefühl des Abgehängt-seins hat zu einer rechten Protestbewegung und zu einer Besinnung auf nationale Grenzen geführt. Neuerdings sehen wir allerdings vielerorts ein Wiedererstarken der Sozialdemokratie mit Lösungsvorschlägen, die von der Geschichte inspiriert zu sein scheinen, mit einer Bekenntnis zu mehr sozialer Mobilität und Gerechtigkeit. 

Ein Beispiel, das mir vor ein paar Wochen aufgefallen ist: Die Initiative taxmenow, mit der Millionäre und Millionärinnen die höhere Besteuerung von Millionenvermögen fordern. Sie haben erkannt, dass Leute, die heute über ein privates (nicht betriebliches!) Vermögen von 100 Millionen EUR verfügen, ihre Arbeit und ihr Engagement nicht einstellen, wenn sie stattdessen nur über 20 Millionen EUR verfügen würden.

In diesem Sinn, Eure Astrid

Quellen: Thomas Piketty

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Elisabeth

    Ich glaube, dass eine Gesellschaft dann mehr Ungleichheit aushalten kann, wenn auch bei den Ärmsten grundlegende menschliche Bedürfnisse erfüllt sind (Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf, Hygiene, Sicherheit, ….). Das war vor dem ersten und zweiten Weltkrieg nicht so. Vielleicht ist auch das der Grund, warum die Schere zwischen arm und reich in den letzten zwanzig Jahren so weit aufgehen konnte, ohne echten Widerstand.

  2. Beate

    Das Schlimmste an der Ungleichheit und an der übermäßigen Konzentration von Mitteln bei ganz wenigen Menschen ist doch, dass diese wenigen Menschen dann unfassbar viel Macht haben, also sehr viel Wirkung „vermögen“. Es ist schön, wenn Bill Gates seine Milliarden dafür einsetzt, Krankheiten wie Malaria zu bekämpfen. Andererseits können wir aber nicht verhindern, dass Jeff Bezos seine Milliarden in die Idee einer touristischen Raumfahrt investiert. Was für ein Unsinn!

  3. Simon

    Ich befürchte, dass ein möglichst grosser Niedriglohnsektor und damit ganz viele Menschen, die sich keine Flugreise und keinen SUV und kein Fleisch leisten können, das beste Klimaschutz-Projekt sind 🙁

  4. Astrid

    Im Ampel-Koalitionsvertrag ist Ungleichheit kein Thema. Das Wort taucht nur an zwei Stellen auf, ein Mal geht es um die Gleichstellung von Mann und Frau, im anderen Fall um die Ungleichheit in Europa. Aber es geht nicht um die Ungleichheit in Deutschland. Ulrike Herrmann (Wirtschafts-Redakteurin der taz) schreibt dazu: „Die Mitte kommt in dem Papier nirgends vor und wird auch nicht profitieren. Dafür gibt es für Firmen 2022 und 2023 Super-Abschreibungen, wenn sie in Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter investieren. Beide Begriffe sind so dehnbar, dass es den Betrieben nicht schwer fallen wird, fast alle Anschaffungen abzusetzen. Die FDP hat also geliefert und ihre Klientel bedient.“

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